Pandemiefolgen, erkrankte Kriegsflüchtlinge, Lungenkrebs-Screening: Pneumologen und Beatmungsmediziner stehen in diesem Jahr vor großen Herausforderungen. „Mit Unterstützung der Gesundheitspolitik müssen wir jetzt wichtige Entscheidungen treffen, um die Versorgung und Vorsorge bei Atemwegserkrankungen zu verbessern“, sagt Professor Torsten Bauer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Im Interview spricht der Chefarzt einer Berliner Lungenklinik über die Ziele in seiner Präsidentschaft, den notwendigen Ausbau der Lungenersatz-Therapie und seinen Wunsch, endlich ein klinikübergreifendes Überwachungssystem für neue Atemwegserkrankungen einzurichten.
Herr Professor Bauer, welchen Stellenwert hat die Pneumologie und Beatmungsmedizin heute in der Gesundheitspolitik?
Das Wichtigste ist: Wir werden von den politischen Entscheidern gehört. Ob bei Abwägungen im Management der Coronapandemie oder jetzt bei der Strukturdebatte zur Versorgung von Kriegsflüchtlingen mit einer Tuberkuloseerkrankung. Die Expertise der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin mitsamt aller Gremien ist in wesentliche Entscheidungen zur Vorsorge und Therapie von Lungenerkrankungen einbezogen worden. Insbesondere Empfehlungen wie zur Tabakentwöhnung, zum Gebrauch von Cannabisprodukten oder zu Therapieleitlinien, beispielsweise zu COVID-QR und seinen Folgeerkrankungen, setzen hier wichtige Maßstäbe.
Ein wichtiger Schritt und neu zugleich ist das Lungenkrebs-Screening in Deutschland. Welche Forderungen hat die DGP an die weitere Ausarbeitung?
Aktuell gibt es in Deutschland nur für wenige Krebsarten eine systematische Früherkennung, wie zum Beispiel bei der Brustkrebs-Früherkennung das Mammographie-Screening. Die Früherkennung von Lungenkrebs ist ein Thema, das von der Politik viel zu lange vernachlässig wurde. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz muss nun die nötige Rechtsverordnung schaffen, der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA muss dann den Leistungsanspruch der Patienten definieren. Umsetzen können wir das nur gemeinsam. Wir als DGP begleiten den gesamten Prozess und wollen dafür sorgen, dass noch in diesem Jahr erstmals ein Lungenkrebs-Screening in Deutschland möglich ist.
Wer ist von der neuen Lungenkrebs-Früherkennung betroffen und wie stehen die Behandlungschancen?
Betroffen sind vor allem Raucherinnen und Raucher in einem Alter ab 50 Jahren, aber auch ehemalige Raucher, die lange Zeit zur Zigarette gegriffen haben. Sie gehören für uns zur Hochrisikogruppe. Die Überlebensrate von betroffenen Patienten ist aktuell sehr niedrig, Lungentumore werden oft zu spät erkannt und sind zudem schwer zu behandeln. Die Früherkennung eines Lungenkarzinoms durch die Computertomographie senkt die Sterberate signifikant, erste Studien weisen auf eine mögliche Reduzierung um 15 Prozent hin. Der Lungenkrebs gehört zu den häufigsten und tödlichsten Tumorarten des Menschen, 80 Prozent der Betroffenen versterben daran. Die Früherkennung ist das einzige Mittel, um diese Sterberate zu senken.
Deutlich gesunken ist zuletzt auch die Zahl der beatmungspflichtigen Coronapatienten. Was lehrt Sie die Pandemie?
Als Lungenarzt habe ich gelernt, dass die grundlegende Kenntnis und auch das Verständnis von Atemwegsinfektionen in der medizinischen Welt verbesserungsfähig sind und wir hier noch viel Arbeit vor uns haben. Dass es über ein Jahr gedauert hat, in der Breite den Unterschied zwischen einer Tröpfcheninfektion und einer Infektion über Aerosole zu erklären, hat mich gelinde gesagt schwer verwundert. Schwere Atemwegsinfektionen und auch Pandemien werden immer wieder vorkommen und darauf müssen wir uns in der Medizin vorbereiten, um bei einer neuen Notlage schneller und koordinierter reagieren zu können. Dafür brauchen wir ein Frühwarnsystem – ähnlich wie in betroffenen Tsunami-Regionen, nur eben für Atemwegsinfekte.
Wie kann so ein Frühwarnsystem für Lungenkrankheiten aussehen?
Es gibt schon heute einzelne Kliniken oder Arztpraxen, die Infektionen der Atemwege zentral melden und die Abstriche auf Atemwegsviren im RKI, dem Robert-Koch-Institut, analysieren lassen. Das passiert seit vielen Jahren sehr regelhaft und liefert uns wichtige Daten zur Ausbreitungskinetik der Influenza und zu den zirkulierenden Viren – allerdings eben nur im niedergelassenen Bereich. Die Krankenhäuser mit den schweren Fällen sind noch außen vor. Hier sehe ich eine große Chance: Sollten wesentlich mehr Krankenhäuser entsprechende Viren untersuchen und diese automatisiert einer zentralen Stelle wie dem RKI zukommen lassen, dann wissen wir deutlich früher als jetzt, wie gefährlich neue Virenvariationen sein werden. Und über interaktive Grafiken – ähnlich der uns bekannten Wetterkarten – könnten wir sehen, welche Viren genau wann in bestimmten Landesregionen auf uns zukommen.
Warum gibt es so einen Viren-Warner bisher noch nicht?
Wie so oft wurde bislang nicht die Notwendigkeit gesehen – und damit auch keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Mit den Erfahrungen aus der Pandemie wissen wir aber, dass wir mit Hilfe einer Virenvarianten-Früherkennung schneller auf neue Behandlungsumstände reagieren können. Das rettet nicht nur Menschenleben sondern entschärft zugleich die Überbelastung von Krankenhauskapazitäten.
Wo sehen Sie hier die Aufgabe der DGP?
Als Fachgesellschaft müssen wir diese Prozesse anschieben. Wenn wir nicht mit Überzeugung dafür eintreten, dann ziehen ähnlich wie bei der Lungenkrebs-Früherkennung Jahre ins Land, bis etwas passiert. Wir Pneumologen müssen mit dafür Sorge tragen, dass die nun bekannten Parameter zur Steuerung der Coronapandemie geordnet werden, um sie bei einer möglichen neuen Patientenwelle im Herbst 2022 gezielt zu nutzen. Was wir dafür auch benötigen, ist eine stabile und einheitliche Kennzahl, die den Schweregrad von Erkrankungen ausdrückt. In Kombination mit der Viren-Frühwarnung, die auch die Komplexität einer Virusvariante kennzeichnet, können Lungenärzte besser arbeiten. Allein die Auslastung von Kliniken aufzuführen, reicht nicht aus.
Gerade über die künstliche Beatmung wird sehr kontrovers diskutiert. Manchen wird zu früh und zu lang beatmet, anderen zu wenig – wie soll es weiter gehen?
Nun, die Dauer und Ausprägung einer künstlichen Beatmung liegt immer im Ermessen des Behandlers, jeder Patient wird individuell betreut – ich warne hier vor Verallgemeinerungen. In meinem Fokus steht in Zukunft die Beatmungsstrategien zu ersetzen durch Oxygenierungsstrategien, denn darum geht es im Wesentlichen. Denn klar ist: Bei der Behandlung der erkrankten Lunge sollte auf das Organ so wenig zusätzlicher Druck wie möglich aufgebaut werden. Wir kennen das von der Behandlung der Niere: wenn wir sie entlasten wollen, nutzen wir die Nieren-Ersatztherapie. Genauso sollte es bei der Lunge aussehen – mit der extrakorporalen Membranoxygenierung, kurz ECMO-Therapie. Da übernimmt eine externe Maschine teilweise oder vollständig die Atemfunktion für den Patienten. Möglich ist das heute nur in hochspezialisierten Zentren. Ich wünsche mir eine Weiterentwicklung der Lungenersatztherapie, so dass diese – bei der nächsten Pandemie – in viel mehr Kliniken zum Einsatz kommen könnte. In diesem Forschungsbereich sollten wir uns noch stärker engagieren.
Bei allen Zukunftsthemen lassen Sie uns noch einen kurzen Blick zurückwerfen: Welche wichtigen Akzente konnte die DGP im vergangenen Jahr setzen?
Wichtig war und ist natürlich die wissenschaftliche Begleitung der Coronatherapie und deren Folgen. Hier konnten wir wichtige Forschungsergebnisse erzielen, zuletzt mit einer Patientenleitlinie zu Post- und Long-Covid. Zudem haben wir kontinuierlich die Themenschwerpunkte rund um Rauchentwöhnung, Tabak- und Cannabis-Konsum und E-Zigaretten-Gebrauch in Politik und Öffentlichkeit getragen. Außerdem haben wir unsere Expertise bei Themen wie Luftschadstoffen oder der Tuberkulosebekämpfung eingebracht. Auch unser digitaler Kongress war eine enorme Bereicherung in schwierigen Zeiten. Hier konnten wir ebenfalls viel dazu lernen – als Fachgesellschaft der Pneumologie und Beatmungsmedizin sehe ich uns für die aktuellen Herausforderungen gut aufgestellt.