Richtigstellung der DGP | Wissenschaftlich belegt: COVID-19-Patienten wurden nicht zu Beatmungsopfern


Die Tageszeitung DIE WELT hat Anfang Mai einen Beitrag veröffentlicht, in dem behauptet wird, COVID-19-Patienten seien in Deutschland zu häufig künstlich beatmet worden. Die invasive Beatmung hätte letztlich zum Tod von vielen tausend Patienten geführt. Man gehe von rund 20.000 „Beatmungsopfern“ in Deutschland aus. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) sieht sich deshalb zu einer Richtigstellung gezwungen.

Der Fachgesellschaft ist es wichtig zu zeigen, dass keiner der veröffentlichten Aussagen eine wissenschaftliche Auswertung zugrunde liegt. Es existieren hingegen zahlreiche wissenschaftliche Studien mit breiter Datengrundlage, die das Gegenteil der veröffentlichten Behauptungen beweisen.

Entsprechend greifen wir einige Aussagen exemplarisch auf:

1. Es wird behauptet, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe zu Beginn der Pandemie empfohlen, COVID-19-Erkrankte möglichst früh zu intubieren. Deshalb sei dieses Vorgehen in Deutschland dann in offiziellen medizinischen Leitlinien übernommen worden.

Diese Aussage ist fälschlich aus dem Zusammenhang herausgenommen.

Richtig ist: Aus den Vorerfahrungen mit der nichtinvasiven Beatmung (NIV = non-invasive ventilation) beim Lungenversagen andere Ursachen, waren die Limitationen dieser Methode sehr wohl bekannt – insbesondere die erhöhte Sterblichkeit, wenn eine invasive Beatmung bei ausbleibender Besserung zu lange hinausgezögert wird. In der allerersten Phase der Pandemie bestand zudem eine Unsicherheit bezüglich einer erhöhten Infektionsgefahr unter NIV. Dennoch findet sich die erste Empfehlung zur Therapie bei schwerer COVID-Infektion in einem Positionspapier der DGP, online publiziert am 22. April 2020 (Pfeifer et al. Pneumologie 2020). Hier wurde bereits sehr früh in der Pandemie für die Behandlung sehr klar ein Stufenmodell – und eben nicht die frühe Intubation – empfohlen: Zunächst eine reine Sauerstoffgabe, dann eine High-Flow-Therapie/NIV und nur wenn diese Behandlung keine gewünschten Verbesserungen bringt, im Anschluss eine invasive Beatmung.

Dieses Stufenschema ist auch in die späteren Behandlungsleitlinien eingegangen (aktuell gültige Leitlinie: Kluge et al. 2022, Kap. 7).

2. Im internationalen Vergleich zeigt sich in der reinen Datenlage in Deutschland eine deutlich höhere Sterblichkeit für ECMO-Patienten. Dies wird im Artikel mit der Empfehlung zur frühen Beatmung und der Behandlungsleitlinie begründet, welche ja angeblich die invasive Beatmung als wichtiges Behandlungsinstrument ausweist.

Diese Aussage ist falsch. Auch gibt es für diese Behauptung keinerlei Datengrundlage.

Richtig ist: Zwar erscheint im reinen Zahlenvergleich das Outcome von ECMO-Patienten in Deutschland im internationalen Vergleich schlechter, doch die Aussage wird dadurch nicht wahr. Denn dieses Phänomen wurde selbstverständlich wissenschaftlich aufgearbeitet – bereits im Verlauf der Pandemie wie auch danach. So existiert bereits eine Publikation aus dem Jahr 2021, die die fehlenden Restriktionen für die Behandlung in Deutschland für die vergleichbar hohe Sterblichkeit anführt. Fakt ist: Deutschland konnte viele Patienten behandeln – im Gegensatz zu anderen Ländern. Im Ausland hingegen wurden bereits durch fehlende Kapazitäten Patienten triagiert und Hochbetagte nicht mehr intensivmedizinisch behandelt. Diese Toten fehlen entsprechend in der Statistik anderer Länder und machen reine Zahlenvergleiche wissenschaftlich unmöglich (Karagiannidis et al. AJRCCM 2021).

3. Im Beitrag wird – hochgerechnet – von möglichen rund 20.000 Beatmungsopfern in Deutschland gesprochen.

Diese Hochrechnung ist – wenn die Annahme der Fehlbehandlung stimmen würde – ebenfalls falsch.

Richtig ist: Die Sterblichkeit von NIV-Patienten fällt deutlich niedriger im Vergleich zu intubierten Patienten aus. Dies ist durch die Krankheitsschwere der behandelten Patienten erklärbar. Denn NIV-Patienten gelten als weniger schwer erkrankt. ECMO-Patienten hingegen als lebensbedrohlich erkrankt.

Ebenfalls nicht außer Acht zu lassen ist: Verschlechterte sich der Zustand im Verlauf der Behandlung und mussten NIV-Patienten nach längerer Behandlungsphase doch intubiert werden, lag ihre Sterblichkeit jedoch noch deutlich höher. Patienten, die früher an die ECMO kamen, hatten eine bessere Überlebenschance. Dies ist mit Blick auf große Patientenkohorten und deren Daten sehr gut belegt (s. Karagiannidis et al. PLOS ONE 2022).

4. Es wird behauptet, viele Studien würden klar zeigen, dass eine Intubation bei gleichem Schweregrad der Patienten die Todesrate um das Fünf- bis Sechsfache erhöhe.

Diese Aussage ist falsch.

Richtig ist: Um eine solche Aussage treffen zu können, wäre eine randomisierte, kontrollierte Studie notwendig, die bei definierten Einschlusskriterien entweder eine NIV oder eine Intubation per Zufallsprinzip den eingeschlossenen Patienten zuweist. Eine solche Studie existiert für COVID-Patienten schlicht nicht.

Der Ansatz der kompetitiven Betrachtung von NIV und Tubus ist auch bei allen anderen Erkrankungen nicht im Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung, da beide Behandlungsformen viel mehr einem Stufenschema zuzuordnen sind. Es handelt sich somit um ggf. alternierend einzusetzende, aber keinesfalls kompetitive Therapiestrategien (Windisch et al. Deutsches Ärzteblatt 2020).

Aus Sicht der Fachgesellschaft ist eine retrospektive Aufarbeitung aller Handlungsempfehlungen in der Pandemie wünschenswert und legitim, wenn sich daraus Konsequenzen für zukünftige pandemische Situationen ergeben.

Die veröffentlichen Aussagen allerdings können bereits heute, wie beschrieben, wissenschaftlich eindeutig widerlegt werden.